Missionare der Hochkultur?

Exkursion ins pädagogische Freiland, 07. bis 08.06.2009

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Heidenarbeit und -spaß am Olymp

Der überwältigende Erfolg unseres Programms „Musikalisches Kindermärchen“ 2008 brachte Matthies Andresen auf die Idee, diesen Impuls auch auf seine Lehrtätigkeit am Lessing-Gymnasium Lampertheim zu übertragen. Ein Übriges tat die Ausschreibung des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp“, bei dem Schulen bundesweit miteinander konkurrieren um den Preis für das beste Kooperations-Projekt mit Hochschulen.

Er brauchte nicht lange, um seinen Beitrag zu entwerfen und das CMM für die Idee zu gewinnen, sich als Entwicklungshelfer in die dunkle Welt außerhalb der Mannheimer Stadtgrenzen zu begeben.

Nun, als es so weit war, haben wir leibhaftige Heiden überhaupt nicht zu Gesicht bekommen, sondern eine große Schar von eifrigen und disziplinierten Bekehrten, sowohl Mitwirkende als auch mucksmäuschenstille Zuhörer. Das war ein Kontrast zu der quietschvergnügten Kinderschar, die sich damals im Luisenpark auch ehrlich begeistert hatte, der aber natürlich einen Teil der von der Freilichtbühne her tönenden Feinheiten entgangen war!

Keine Angst vorm Wolf

Bläser bei „Peter und der Wolf“In der trockenen Akustik der vollbesetzten Turnhalle kam jeder Ton an, wenn auch etwas gedämpft. „Peter und der Wolf“ spielten wir in der Originalfassung, die dem Orchester die volle Dosis an Herausforderung beschert, so dass zu pädagogischer Herablassung kein Anlass bestand. Die teils verbindenden, teils als Melodram zur Musik gesprochenen Texte folgten der Fassung von Loriot, der dem ursprünglichen Heldenmärchen einen sarkastischen, gymnasiumkompatiblen Einschlag verpasst. Dankenswert war auch, dass die Lokalmatadorin Ute Junker als Sprecherin auf jegliche Comedy-Allüren verzichtete. (Der unvergessene Profi Arnim Töpel hatte eher das Grundschulalter anvisiert.)

Auch konzentriertes Zuhören ist eine beachtliche Kulturleistung, nochmals Kompliment dafür!

Tutti

Quicklebendige FossilienCarnéval

War die gastgebende Schule also bislang nur mit zwei Lehrenden vertreten (Andresen dirigierte), so stellte sie nach der Pause die Zweidrittelmehrheit der Ausführenden. Heerscharen von Flöten-, Klarinetten-, Altsaxofon- und Trompetenblasenden aus den Klassen 5 und 6 überfluteten die Bühne zwischen Streichern und Bläsern des CMM, dazu noch ein paar Exoten, auch von der klimpernden, schlägelnden und sprechenden Zunft. Loriot hatte den ursprünglich ohne Begleittext gelieferten „Karneval der Tiere“ in eine Urwaldlichtung verlegt, diese Vision schien hier verwirklicht.

Wie aber kommt ein Werk, das Camille Saint-Saëns für ein Kammerensemble aus Berufsmusikern komponiert hat, zu solch einer Besetzung?

Vorbereitung

Da musste natürlich lange Hand angelegt werden. Bevor die Mitglieder der Bläserklassen, die teilweise ganz am Anfang ihrer Ausbildung stehen, mit dem Üben loslegen konnten, musste man sie mit passenden Noten versorgen. Zum Anderen galt es, die beiden im Original vorgesehenen hochvirtuosen Klavierparts auf Laien-Niveau herunter zu kochen und die wichtigsten der herausgedampften Noten notdürftig auf andere Instrumente zu kondensieren, insgesamt also eine tiefgreifende Umarbeitung vorzunehmen. Matthies Andresen, als respektvoller Arrangeur der Symphonieorchester-Fassung bereits angefixt, ging nun zusammen mit seiner 9. Klasse im Wahlpflichtunterricht schamlos in die Vollen. Tonumfang und Notationsweise der Instrumente waren schnell erläutert, und schon hieben die Neuarrangeure in die Computertasten, natürlich mit handfester Unterstützung und Schlussredaktion durch den Lehrer.

Einige Sätze ließ man gleich weg, weil sie nicht angemessen darzustellen waren. Auch der durchaus machbare „Kuckuck“ musste leider dran glauben, weil die Erfahrung lehrte, dass manche jungen Zuhörer mit der hinreißend komischen Ironie überfordert sind und womöglich den Geräuschpegel hätten anschwellen lassen. Zumindest die letztere Sorge kann man im Nachhinein als unberechtigt bezeichnen.

Einsatz

Noch eineJunior-MaestraDaß auch die Dirigentenrolle an die Teilnehmer des besagten Kurses vergeben wurde, zeugt von großem Mut aller Beteiligten, denn sie ist generell um so schwieriger, je weniger routiniert die Musizierenden sind. Um die Aufgabe zu erleichtern, waren Tempowechsel und andere Stolpersteine kurzerhand abgeschafft worden.

Als Gäste bei CMM-Proben konnten die Adepten ihren Lehrer beim Dirigieren beobachten und ihre eigenen Künste erproben. Die Nervosität war groß, obgleich wir vom Orchester die Stücke bereits gut kannten und es an Wohlwollen nicht fehlen ließen. Noch bei der Generalprobe wurden Maßnahmen für den Fall eines Dirigier-Blackouts besprochen, gegen den ja auch Profis nicht gefeit sind.

Aber die Konzentration hielt, und das Konzert ging reibungslos als voller Erfolg über die Rampe. Unser Paukenschläger, weit herumgekommen und immer für einen Lästerspruch gut, verkündete im Garderobenzimmer: „Hier erkenne ich wenigstens immer die 1, was mir nicht bei jedem Berufsdirigenten gelingt!“ Ja, wenn der Pauker von der Dirigentin die 1 kriegt, kriegt die Dirigentin vom Pauker ‘ne 1.

Sax in the GymManche der jungen Blasmusik-Eleven freilich ließen im Zweifel den Mitblasenden höflich den Vortritt, so dass die Phrase erst ab ihrem zweiten Takt die volle Stärke erreichte. Kein Problem; jeglicher Verantwortung geht ihr Lernprozess voraus, das gilt auch für den pfleglichen Umgang mit dem Rohrblatt („Och, das war schon vorher kaputt!“) und dem Instrument insgesamt.

Lernerfolg

Überhaupt ist ein solches Unternehmen nicht nur mit Lernen im technischen Sinn, sondern auch mit Erkenntnisgewinn verbunden.

Alle Beteiligten haben vorgeführt bekommen, dass der Weg zu einem Konzerterfolg lang und an jeder Stelle steil ist. Nicht nur die eigenen Probleme, sondern auch die der anderen Fächer, der weiter Fortgeschrittenen und der noch nicht so Weiten bekam man direkt vor Augen geführt. Wer glaubt denn beispielsweise, dass Dirigieren eine komplizierte Sache ist, wenn immer nur Könner zu sehen sind?

Klarinetten und Bratschen Noch eindrucksvoller aber erkannten und fühlten die Interessierten, dass jener Weg zwischen dem ersten erzeugten Ton und dem Virtuosentum ein kontinuierlicher ist, ohne scharfe Klassenschranken. Die Zeiten, wo „Solist“, „Berufsmusiker“, „ambitionierter Laie“ und „Dilettant“ eine ähnliche Kategorisierung darstellten wie zuvor „Graf“, „Baron“ und „Bürgerlicher“, sind hierzulande ziemlich gründlich vorbei. Darin unterscheidet sich die Musik von den Wissenschaften und anderen Künsten, in denen massive soziologische (also nicht sachlich begründete) Schwellen herrschen.

Solche Schwellen (weiter) abzuflachen war die Absicht des Schulwettbewerbs, was auch in unserem Fach ständiger Anstrengung bedarf. Daher hat das Projekt beim Wettbewerb tatsächlich die Aufnahme in die Liste der 12 bundesweit besten errungen! Das CMM hat allgemein bei all seinen Aktivitäten das Ziel, Berührungsängste zu verhindern oder abzubauen, und wir sind über die Erfolge immer mal wieder erstaunt!

Trompeterinnen ohne WolfUm so größer ist der Abstand zu den vielen echten Musik-Analphabeten. Mit dem Eintritt in eine Gymnasiums-Bläserklasse und dem ersten Ton auf dem Instrument ist nämlich die größte Hürde bereits überwunden, man gehört zu den Eingeweihten. Auch dann ist die Gefahr noch groß, dass nach der 6. Klasse, wenn der Gruppenzwang fortfällt, die erworbenen Fähigkeiten und Bewusstseinsgüter wieder verdorren. Hier ist noch ein weites Feld für die Mission, eine wahre Sahara. Sollte jede mitwirkende einer außenstehenden Person berichten, wie erfreulich und spannend das Projekt war, ist das vielleicht der größte Erfolg.

A.S.

Für die Fotos vom Konzert (08.06.) bedanken wir uns bei der „Lampertheimer Zeitung“. In der Generalprobe am 07.06. fotografierte der Autor, wenn er Pausentakte hatte.


Die Urkunde für die „Endrunde“, faksimiliert:

!

KINDER
ZUM
OLYMP  
U R K U N D E
    Teilnehmer Endrunde


Das Projekt
Karneval der Tiere — Bläserklassen spielen mit Sinfonieorchester

ist Endrundenteilnehmer des KINDER ZUM OLYMP! Wettbewerbs
„Schulen kooperieren mit Kultur“ 2008/2009
der Kulturstiftung der Länder


Schirmherr
Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler

Projektpartner
Lessing-Gymnasium Lampertheim
Sinfonieorchester Collegium Musicum Mannheim e.V.
Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Mannheim

Sparte
Musik

Altersgruppe
Klasse 5-9

Berlin, Juni 2009


Isabel Pfeiffer-Poensgen
Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder
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Deutsche Bank Stiftung
Partner und Förderer

     
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