Wer war Kufferath?

Hubert Ferdinand Kufferath
Nicht nur die Polizei, sondern die gesamte Mannheimer Öffentlichkeit steht vor einem Rätsel: Was hat es mit dem Namen Kufferath auf sich? Wie gelangt er auf das Konzertplakat vom Sommer 2018?

Der großen Tradition des investigativen Journalismus verpflichtet, scheute ich keine Mühe, den äußerst beschäftigten künstlerischen Leiter zu einem Exklusivinterview zu nötigen:



Sensationeller Garagenfund!

Interview mit Dr. Matthies Andresen

Die Fragen stellte Dr. Alexander Scheutzow

F: Matthies, wir haben ein ungewöhnliches Konzert hinter uns, geprägt von der Entdeckerfreude aller Beteiligten. Insbesondere kaufte unser Publikum willig die „Katze im Sack“ eines weitgehend unbekannten Komponistennamens. Wie kamst du auf Hubert Ferdinand Kufferath?

A: Der Name sagte auch mir überhaupt nichts, bis er an Weihnachten 2015 bei einer Feier der Familie meiner Freundin fiel. Ihr Onkel pflegt den Familienstammbaum und fand heraus, dass Kufferath ihr Ur-Ur-Ur-Großonkel ist.

F: Ein Beweis für die Erblichkeit der Musikbegeisterung?

A: In der Familie hat die Musik jedenfalls lebendige Tradition. So haben wir auch am besagten Weihnachtsfest alle gemeinsam musiziert und gesungen. Meine Freundin spielt Geige, vielleicht kriege ich sie eines Tages ins CMM …

F: Wie kamst du dann auf die Idee mit dem Konzert?

A: Wie jeder Programmgestalter freue ich mich über ein griffiges Konzert-Thema, obwohl wir oft auch ohne auskommen. Bei meinen Nachforschungen bemerkte ich, dass für 2018 das Jubiläum des 200. Geburtstags einen guten Anlass bieten würde. Und dann fiel der Geburtstag auch noch genau auf einen für uns passenden Sonntag am Ende des Semesters. Da passte organisatorisch einfach alles.

F: Bei der Suche nach einem weiteren Mannheim-Bezug habe ich im Internet recherchiert, dass die Fassade der Kunsthalle, die just an unserem Probenwochenende eingeweiht wurde, von einer Kufferath AG aus Düren stammt. Auch ein Verwandter?

A: Wohl kein naher, jedenfalls habe ich den Namen bei meinen Nachforschungen nicht entdeckt. Ich werde mal den Onkel nach dem Stammbaum fragen…

F: Scherz beiseite; entscheidend für das Projekt war natürlich ein passendes Orchesterwerk. Wie bist du zu den Noten gekommen?

A: Die Sinfonie ist im Druck erschienen und den Musiklexika bekannt; allerdings mussten wir Scans von dem vermutlich einzigen verfügbaren Stimmensatz aus der Königlichen Bücherei in Brüssel erwerben.

F: Das ist ja, wie wir im Konzert erlebt haben, ein wirklicher Schatzfund, klangprächtig, effektvoll und in origineller Ausprägung der Beethoven- und Mendelssohn-Nachfolge. War dir das von Anfang an klar?

A: Nur ansatzweise. Das gedruckte Material enthält keine Partitur, sondern nur ein in die Geigenstimme intergriertes Particell. Es ist dazu vorgesehen, die Aufführung vom Konzertmeister-Pult aus zu leiten, wie damals vielfach üblich. Daher musste ich versuchen, mir aus den verschiedenen Einzelstimmen eine Art Dirigierpartitur neu zu erstellen. Im Laufe der Proben ergänzte ich mein Dirigiermaterial, so entstand mein Gesamtbild gleichzeitig mit dem des Orchesters.

F: Jedenfalls ein lohnendes Unterfangen; die Komposition ist für 1847 zwar nicht Avantgarde, aber zweifellos auf der Höhe ihrer Zeit.

A: Kurz nach dem Konzert hat sich dann auch noch ein witziger Zufall ergeben: Der erwähnte Onkel räumte nach langen Jahren seine Garage auf und fand dort in einem Karton einen Band mit der fotokopierten handschriftlichen Originalpartitur! Wäre er etwas früher auf die Idee gekommen, hätten wir viel Arbeit gespart! Wenigstens werde ich mit einer kompletten Partitur dirigieren können, wenn wir die Sinfonie am 27.01.19 nochmals aufführen. Wir sind mit der Familie am Überlegen, ob wir eine neue Drucklegung von Partitur und Stimmen finanzieren wollen, um so die Sinfonie weiteren Interessenten zugänglich zu machen.

F: Wie kam der übrige Teil des Konzertprogramms zustande?

A: Bei meinen Nachforschungen war ich bereits auf einige andere Werke von Kufferath gestoßen. Dabei waren Kammermusik, Lieder, Solo-Etüden für Klavier und eine Choral-Schule. Wirklich viel komponiert hat er nicht, nachdem ihm seine Professur in Brüssel ein gutes Einkommen bescherte. Diese Auswahl erwies sich dann aber doch als so umfassend und spannend, dass ich die Idee entwickelte, ein gemischtes Konzert mit Kammermusik, Vokalwerken und Sinfonik zu organisieren.

F: Nun, ohne Mithilfe des Zufalls kommen Entdeckungen selten zustande! Die Lieder haben Charme und Niveau, wenn sie auch nicht so bedeutend wie die Sinfonie sein mögen. Dass kein Geringerer als Robert Schumann die Burns-Vertonungen freundlichst rezensiert hat, habe ich erst im Nachhinein gelesen. Wie aber kamst du auf die Choralsätze, deren Zweck doch die Hochschuldidaktik der Harmonielehre war?

A: Die „Praktische Choral-Schule“ gilt als Kufferaths bekanntestes Werk, anhand dessen einige Generationen von Studenten lernen mussten. Darin befinden sich etwa 15 Eigenkompositionen von Kufferath (neben Werken von Bach etc.), denen ich doch eine gewisse Originalität zusprechen möchte. Die letztendliche Auswahl trafen mein langjähriger Freund und ehemaliger Gesangslehrer Johannes M. Kösters und ich gemeinsam, da beim Konzert der von Kösters geleitete Roche-Chor für die Choräle zuständig war.

F: Dadurch, dass sich am Chorgesang auch Orchestermitglieder beteiligten, wurde er eine Art „Happening“!

A: Ja, der Roche-Chor wäre beim Konzert relativ klein besetzt gewesen, so haben einige Instrumentalisten dann auch im Chor mitgesungen. Für uns und unser Publikum war das eine neue Erfahrung, freilich gerade dadurch doch wieder in die CMM-Tradition passend. Gemeinsam geprobt wurde dazu mehrmals je eine Stunde vor der Orchesterprobe in der Musikhochschule.

F: Vielen Dank, Matthies, für diese Einblicke in das Innenleben der Programmgestaltung. Wir wünschen dir und uns allen, dass uns die Überraschungen nie ausgehen!

A: Vielen Dank auch für das Interview, Alex. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich nochmals bei allen Beteiligten für das wunderbare und spannende Konzert bedanken.




Weiteres über Kufferath ist leicht im Internet finden, daher erspare ich Ihnen und mir ein Referat. Speziell zu der Sinfonie möchte ich Ihnen aber ein paar frühe hemmungslos subjektive Rezensionen und damit etwas Zeitkolorit nahebringen. Der eine lobt die Form und tadelt die Melodik, der andere genau umgekehrt, auch berichtet man von lokalen Netzwerken und ist im Zweifel selbst Teil davon. Einig sind sich die Schreiber im Endeffekt darüber, dass Kufferath nicht Brahms ist, was wir im Rückblick gerne verschmerzen, denn uns steht ja der echte Brahms ebenfalls zur Verfügung. Zunächst eine anonyme Kurzrezension direkt nach der Uraufführung in Brüssel, in der Revue de Belgique 1846 (erschienen 1847):

Nous ne voulons point parler ici de la symphonie de M. Kufferath, c'est une œuvre trop importante pour être racontée et jugée pour ainsi dire en passant. Nous dirons seulement que M. Kufferath connaît son orchestre en maître expérimenté, que son harmonie est d'une richesse remarquable, mais que la mélodie est parfois obscure, souvent tourmentée et toujours conçue dans un système rythmique lâche et filandreux. Là est, croyons-nous, la véritable cause de la monotonie et du caractère de langueur dont sont empreintes les œuvres de M. Kufferath, monotonie et langueur que l'éclat et la sonorité de l'orchestre ne peuvent pas dissimuler entièrement, et qui semblent jeter un voile froid et glacé sur les parties les mieux colorées de la partition.
Übersetzung von mir:
Wir wollen hier überhaupt nicht von Herrn Kufferaths Sinfonie sprechen; sie ist ein zu wichtiges Werk, um darüber sozusagen im Vorbeigehen zu berichten und zu urteilen. Wir sagen nur, dass Herr Kufferath als erfahrener Meister sein Orchester kennt, dass seine Harmonik von bemerkenswertem Reichtum ist, dass aber die Melodik manchmal dunkel ist, oft gequält und immer in ein lasches und zähes rhythmisches System eingearbeitet ist. Darin liegt, wie wir glauben, die wahre Ursache für die Monotonie und die Anmutung von Mattigkeit, durch die Herrn Kufferaths Werke geprägt sind, Monotonie und Mattigkeit, die der Glanz und die Klangfülle des Orchesters nicht völlig verbergen können und die einen kalten und eisigen Schleier über die farbigsten Teile der Partitur zu werfen scheinen.

Von einer Konzertreihe in Köln 1848 mit Sinfonien, darunter einer des einheimischen Musikdirektors Heinrich Dorn, berichtet ein dortiger Korrespondent in der Wiener allgemeine Musik-Zeitung vom 11.03.1848 und verrät uns dabei, dass Kufferath zum Dirigieren angereist war:

… Von Dorn Nr. 3 in F (neu) und von Ferd. Kufferath aus Brüssel, so viel uns bekannt, seine erste in C. Beide Symphonien von Dorn und Kufferath erfreuten sich einer recht beifälligen Aufnahme und enthalten recht viel Schönes und Gutes. Daß die Aufführungen gelungen waren, konnte unter der Leitung der Komponisten selbst und bei unserm trefflichen Orchester wohl nicht fehlen. …

Wir wissen noch von einer Leipziger Aufführung der Sinfonie am 25.11.1852, die allem Anschein nach Ferdinand David vom Konzertmeisterpult aus leitete. Kritik in „Signale für die musikalische Welt“ von Berthold Senff:

Siebentes Abonnementskoncert
im Saale des Gewandhauses zu Leipzig. Donnerstag, den 25. November 1852.
… Die Bekanntschaft mit der Sinfonie des Herrn Kufferath können wir nicht anders als recht erfreulich bezeichnen; zwar erschließt das Werk keine ungeahnten Regionen, es tritt nicht bahnbrechend und epochemachend auf und die siegende Allgewalt eine Genius nimmt in ihm nicht die Herzen gefangen; aber es ist auch nicht die Gewöhnlichkeit, die ihre Bleigewichte anhängt und den freien Aufflug hindert, es ist auch nicht die blose herzlose Bewältigung der Mittel und die kalte Verständigkeit, die dem Genießenden ihr starres Antlitz entgegenhalten, – nein, der Verfasser ist ein guter Musiker im guten Sinne des Wortes; seine Gedanken sind in melodischer und harmonischer Beziehung durchaus von Interesse und die Combinirung zeigt von Gewandtheit, ohne jenes blos Mechanisch-Conventionelle der bloßen Routine. Trotz aller dieser Vorzüge wird aber die Sinfonie doch keine hinreißende Wirkung ausüben, weil ihr das Ebenmäßige fehlt. Wir legen darauf einen besonderen Accent, weil, wie wir oben schon erwähnten, eben keine übersprudelnde Genialität, keine fesselnsprengende Ideen vorhanden sind und also der Inhalt nur in der knappsten, angemessensten Form zur Geltung gekommen wäre. Der Verfasser verfällt in den Fehler der oft unnöthigen Breite; das Aussprechen ist nicht begrenzt genug und das Erschöpfende wird oft durch Weitschweifigkeit gehemmt und verhindert. Das ist z. B. im letzten Satze der Fall: Alles ist zum wirksamen Schluß vorbereitet, es drängt und treibt zum Ende – da aber erstarren die flüssigen Massen und das Abgeschwächte kann durch den nun wie angeklebt erscheinenden Schluß nicht wieder gut gemacht werden. Die gerügten Ausstellungen kommen übrigens im ersten Satze am wenigsten vor und darum halten wir ihn auch für den besten; Andante und Scherzo hätten durch etwas mehr Durchsichtigkeit bedeutend gewonnen und es ist schade, daß die hübschen Gedanken nicht besser gruppirt sind. –

Über dasselbe Konzert meint die Rheinische Musik-Zeitung vom 26.02.1853:

Im Gewandhause hörten wir ausser Wagners Lohengrin noch einige neue Werke: eine Sinfonie von Kufferath und eine andere von Franz Lachner aus München. Beide sind ohne grosse, nachhaltige Wirkung vorübergegangen, nur die erste mit ein wenig mehr Getöse, denn sie ist in dem Stile geschrieben, der hier immer noch als der accreditirte gilt, wozu kommt, dass der Autor hier noch persönliche Freunde besitzt, die sich seiner warm annehmen. Was soll ich sagen? Soll ich das alte Lied anstimmen über Formengeschicklichkeit und alle die andern Dinge, die ein wohlerzogener Componist gelernt haben muss? Soll ich über den Mangel an Produktionskraft unserer Zeit reden und dieses Unglück an den einzelnen Sätzen dieser und der Lachnerschen Sinfonie nachweisen? Lachner wusste Niemand aus dem Publikum zu interessiren, er ist hier wenig bekannt und wurde daher von Keinem getragen. Seine Sinfonie hat den einen grossen Fehler: sie ist zu lang, zu ernst und melancholisch, und ausserdem mangelte ihr die frische und fröhliche Klangfarbe, welche die Kufferath'sche hier und da hob.

Na immerhin hier und da!

A. S.


     
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