Das Horn, das Horn…Gedanken zur „Glücksspirale“ vom einschlägigen Orchestermitglied Dr. Alexander Scheutzow, Januar 2008 …das ruht sich aus,……während sein Bediener die Pausentakte zählt. Bei klassischen Werken kommen locker dreistellige Beträge zusammen. Sobald nur noch zwei Takte fehlen, beginnt der Puls zu rasen, vor allem wenn der Einsatz heikel ist, und das ist eigentlich jeder Einsatz. Nur noch ein Takt: Das Zwerchfell presst mit Macht die Eingeweide zusammen und saugt dadurch jeden verfügbaren Winkel der Lunge voll Luft. Lippen, Zunge, Unterkiefer und Hals werden in diejenige Stellung gebracht, die für den gewünschten Ton charakteristisch ist (zudem die Ventilhebel, was im Normalfall das geringste Problem ist). Der Blick fixiert die Dirigentin in Erwartung eines präzisen Taktschlags—die aber winkt gerade ab und mahnt eine stärkere Betonung in den 2. Geigen an. Die Stelle soll nun wiederholt werden, so dass wir erneut ab 28 zählen dürfen. Natürlich geschieht so etwas nur bei den Proben, im Konzert wird dann Fortunas Hilfe erfleht. (Überhaupt gehört es zu den elementaren Weisheiten des Dirigierunterrichts, Hornstellen nicht exzessiv zu proben und schon gar nicht die Ausführenden zu kritisieren, die ja alle fürchterlich sensibel sind.) Für Hollywood-, Broadway- und vergleichbare Musik, die einen weiteren Programmschwerpunkt des CMM darstellt, erübrigt sich die höhere Zählarithmetik, denn die Pausen dienen dort lediglich zum schnellen Atem-Schnappen. Ob von Cowboys oder liebeskranken Weichlingen, von Geheimagenten ihrer Majestät oder nostalgisierenden Katzen die Rede ist: ohne Hörner läuft gar nichts. So lange uns noch ein Fetzen Fleisch vor den Zähnen bleibt, verleihen wir den Phantomen der Oper, des Zelluloids und der Musicalbretter unser heißestes Herzblut und unsere coolsten Attacken. …es bringt nur einen Ton heraus.Zumindest normalerweise maximal gleichzeitig. Die möglichen Artistentricks zur solistischen Erzeugung von Mehrstimmigkeit werden zum Glück selten verlangt. Manchmal bringt das Gerät unabsichtlich überhaupt keinen Ton mehr heraus, wenn die vier Muske(l)tiere dem Dirigenten auch nach dem fünften Versuch immer noch nicht schmetternd genug klangen. Der eine Ton kann aber ziemlich lange anhalten, und das war wohl die Idee, die dem Autoren des zitierten Liedes (Willy Geisler, 1886) vorschwebte. Fachleute sprechen von einem Orgelpunkt, weil Organisten so etwas in beliebiger Länge mit der linken Fußspitze auf den Punkt bringen können. In der klassischen Symphonik sind zwei Hörner dafür zuständig, die—nach Möglichkeit—im Oktavabstand erklingen. Nicht selten wird der beste Taucheratem an seine Grenze geführt… Wer bläst eigentlich Horn?Oft liest man, das Horn verlange nach besonderen Persönlichkeitsmerkmalen, die sich von denen unterscheiden, die für andere Instrumente nötig sind. Je weiter man aber vom Körperlichen wegkommt, desto weniger fassbar sind die Kriterien. Tatsächlich sind unter meinen Horn blasenden Bekannten ganz verschiedene Temperamente, Geisteshaltungen und Bildungshintergründe vertreten. Einen Zusammenhang mit den ebenfalls sehr unterschiedlichen individuellen Stärken und Problemen kann ich nicht erkennen. Durchhaltevermögen und eiserne Nerven sind unbedingt von Vorteil, das gilt aber für alle aufführenden Künste. Das Instrument hat freilich sein Geheimnis und seine eigene Kultur, die in die Jahrhunderte zurück reicht. Solche kulturellen Elemente geben dem Musizieren eine über das klingende Resultat hinausweisende Dimension, die Gemeinsamkeiten von sich aus stiftet. Wer einen Draht zu dieser historischen Tiefe hat, ist zusätzlich motiviert. Mein eigener Beruf ist Software-Entwickler. Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich die Musik als „Ausgleich“ treibe. Oft schwingt die Idee mit, die Computer-Welt sei seelenlos und dem bedauernswerten Musikliebhaber lediglich zum Broterwerb vonnöten. Da muss ich energisch widersprechen, auch im Namen der meisten Amateurmusiker. Die geistige Identität eines Menschen hat ja in jedem Fall viele Aspekte, von denen der ökonomische nur einer ist. Auch innerhalb der Instrumentalmusik sind technisch-motorische, sinnesphysiologische, geistige und soziale Komponenten usw. weit gestreut und bilden doch eine unzertrennliche Einheit. Wenn Sie diese Seiten durchgeblättert haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass ich hier auch als Webdesigner fungiere. Dazu kam ich, indem ich die Musiksoftware MidiCond entwickelte und die zugehörige Webpräsenz selbst gestalten wollte. So kurz ist die Verbindung von Musik zu Computern, von dort zur visuellen Kunst und wieder zurück zur Musik! Jetzt habe ich die selbst gestellte Frage doch nur ansatzweise beantworten können. Eine einfachere ist: Wer spielt eigentlich Horn? Niemand—man fliegt ja auch nicht mit dem Heißluftballon, sondern fährt. …Anja, Kerstin und Renate!Genug der Philosophie. Als wirklich konkrete Antwort darf ich die drei Damen nennen, mit denen zusammen ich das große Vergnügen habe, die Horngruppe des CMM zu bilden. Dass diese aus vier engagierten Vereinsmitgliedern besteht, die in den Proben und Konzerten gesund und nicht verhindert sind (toitoitoi), muss als Glücksfall bezeichnet werden, denn genau so viele werden meist benötigt, mit je einer eigenen Stimme. Wir können uns nicht dauerhaft auf dieses Glück verlassen, darum freuen wir uns schon einmal auf weitere Anwärter/innen (vgl. auch Aktive gesucht)! Bier und BratwurstWas wäre der deutsche Verein ohne Kneipen und Grillfeste? Die blechmusikalische Tätigkeit fördert ja angeblich den Durst, vor allem aber würzt die gemeinsame Erfahrung das Gespräch und die Geselligkeit. Blasen wir also „Sau tot“ und erfreuen uns an ihren angekohlten sterblichen Überresten! Guten Appetit und Prost! Nachtrag 2009: Historische Anekdoten Wer heutzutage über klassische Musik schreibt, muss mit Stories aus der Vergangenheit aufwarten, die der verwöhnten Leserschaft die menschliche Seite des Themas so recht nahebringen. Dazu habe ich mich nun ebenfalls durchgerungen: Der große Hornist Johann Wenzel Stich (1746-1803, auch Giacomo Punto genannt) war für seine Starallüren berüchtigt. Oft ließ er sich nur ganz kurzfristig für einen Tag engagieren. In großer Eile musste dann bis zu diesem sogenannten Stich-Tag alles vorbereitet sein. Meistens reiste er erst nachmittags an, da reichte die Zeit nicht für eine komplette Probe mit dem Begleitorchester. So wurden lediglich einige zufällig herausgesuchte Stellen geprobt, man sprach von einer Stichprobe. Für das Zählen der Pausentakte war sich der Meister zu fein; man musste in sein Notenblatt vor jedem Neueinsatz die Noten der vorher erklingenden Melodie eintragen, sie werden seitdem Stichnoten genannt. Auch seine Flamme wurde wegen ihrer abrupten Ausbrüche gefürchtet. Trotzdem konnte er sich bei der Kür des „Hornisten der Epoche“ im zweiten Wahlgang gegen den Konkurrenten Joseph „Ignaz“ Leitgeb (1732-1811) durchsetzen. 200 Jahre später gelang dem Tennistrainer Ronald Leitgeb die Familienrevanche nur indirekt: Sein Schützling Thomas Muster übertrumpfte Michael Stich mit 45:28 Turniersiegen. |